Warum Strategisches Design Thinking den Forschungs– und Entwicklungs-Abteilungen in etablierten Unternehmen helfen kann, ihre Agilität freizusetzen.
Gast-Autor: Annie Kerguenne
Lead of Integrated Design Thinking Strategy am Hasso Plattner Institute for Digital System Engineering gGmbH
Mitglied des Master Coach Executive Teaching Teama an der HPI Academy
Expertin in Design Thinking strategies, leading & coaching executive programs
Beratung von HPI Start-ups in Identity-DNA development
Mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in creative leadership und innovation management für Kommunikationsagenturen and innovation hubs wie DDB, FCB, Dentsu.
8 Jahre Erfahrung in Strategic Design Thinking coaching und Einführung
Interdisziplinäre Studien der Wirtschaft, Psycholingustik und Soziologie an der Technischen Universität zu Darmstadt, Deutschland
Geboren und aufgeachsen in Paris, Frankreich
Design Thinking wird als unternehmerische Strategie für digitale Transformation immer populärer. Deswegen macht es Sinn, genauer hinzuschauen und was sich hinter diesem Begriff verbirgt: was ist Strategisches Design Thinking? Welche konkreten Vorteile hat der Einsatz der Methoden und Prinzipien für Unternehmen und Organisationen?
“Die Methode fußt auf dem gesunden Menschenverstand”
Als vor einigen Jahren Hasso Plattner in einem Interview gefragt wurde: “Was ist Design Thinking?”, brachte seine Antwort die Essenz dieser neuen Denkschule klar und einfach auf den Punkt: "Die Methode fußt auf dem gesunden Menschenverstand". Diese Definition beschreibt den Lerneffekt, den die Teilnehmer der Kurse des HPIs erleben. "Ich habe eigentlich immer schon so gearbeitet, wenn es gut lief - ich wusste nur nicht, dass es Design Thinking war".
Teilnehmer erkennen im Training, was sie intuitiv ihren eigenen, erfolgreichen Handlungsstrategien zugrunde legen: die Essenz des Strategischen Design Thinking ist die Konzentration auf den Nutzwert für den Menschen.
Ein Denken, das den menschlichen Nutzen zum Ausgangspunkt nimmt und ein Handeln, das verschiedene Sichtweisen auf eine Fragestellung kooperativ organisiert - das ist die zentrale Haltung des Design Thinking.
Seine Wurzeln reichen bis in die Bauhaus-Bewegung mit ihrem Leitsatz "Form follows Function" - ein radikaler, innovativer und nutzerorientierter Ansatz für die Gestaltung (das Design) von Objekten, Möbeln und Gebäuden.
In1990er Jahren, etablierte die amerikanische Innovationsagentur IDEO den heute als Design-Thinking bekannten Ansatz, um Lösungen für komplexe Probleme im unternehmerischen Kontext zu entwickeln: den bekannten Prozess mit seinen Methoden und die Kernelemente der Haltung eines Innovators: das DESIGN THINKING MINDSET.
Heute lässt sich dieses MINDSET mit sechs Elementen beschreiben, die als übergreifende Orientierung für Organisationen dienen können, wenn sie ihre individuellen Transformations- und Innovationsstrategien entwickeln. .
Für die Operationalisierung der Strategie steht ein umfassender Werkzeugkasten mit Methoden und Strukturhilfen zur Verfügung, aus dem sich die InnovatorInnen bedienen können. Innerhalb des letzten Jahrzehnts hat sich Design Thinking aufgrund dieser Leistungsfähigkeit zu einer flexiblen Führungsstrategie mit anpassbaren Prinzipien für die Entwicklung einer Innovationskultur entwickelt. Design Thinking Praktiker setzen das gesamte Potential des Ansatzes als Bausteine der Transformationsstrategien in ihren Organisationen ein:
Das Mindset, die Methoden und Werkzeuge sowie die Prinzipien (oder strategischen Regeln), die sie selbst aus der Anwendung der Methode für ihren spezifischen Kontext definieren.
Warum ist die Hebelkraft von Strategischem Design Thinking für den Aufbau von Innovations-Ökosystemen in Unternehmen effektiv? Drei Gründe werden von Praktikern angeführt
1. Die Notwendigkeit, mehr Innovationen in höherer Frequenz zuentwickeln.
Die bekannten "drei Innovationshorizonte" sind heute zu einem einzigen verschmolzen - dem JETZT. "Wir haben nicht mehr wie früher die Zeit, viele Jahre in die Entwicklung unserer Produkte und Dienstleistungen zu investieren. Die digitale Technologie ermöglicht den Markteintritt von kleinen und agilen Wettbewerbern, und manchmal stellen wir fest, dass unsere Kunden schneller denken, dass sie besser vernetzt und informiert sind als wir selbst - was auf unsere bestehenden, in Stein gemeißelten Prozesse und Strukturen zurückzuführen ist. (Zitat Projektleiter Lebensmittelunternehmen). Mit dem Design Thinking Grundsatz der Multiperspektivität wird Bereichs- und Abteilungs-übergreifende Teamarbeit zur Methode. Das führt zu mehr Ideen in kürzerer Zeit und damit zu besseren Ideen. Design Thinking offeriert statt der isolierten, zufälligen Einzelkreativität einen wiederholbaren und präzisen Innovationsprozess, der das kreative Potenzial des gesamten Innovationsteams freisetzt. Produktentwickler arbeiten synergetisch mit Marketing- und Verpackungsexperten zusammen. Die verschiedenen Facetten einer komplexen Innovationsaufgabe werden zeitgleich durch die verschiedenen Perspektiven der Experten betrachtet und analysiert. Die Bedürfnisse sämtlicher Interessenträger werden entlang des Prozesses beim Testen und bei der Ko-Kreation berücksichtigt – und nicht erst kurz vor dem Go-To-Market. Gerade im konservativ strukturiertem Lebensmittelmarkt wird diese multiperspektivische, multidisziplinäre Zusammenarbeit als überraschend effektiv erlebt, um zu ganzheitlichen Lösungen zu kommen: Der Trend zum Produkt-Service lässt sich so von jedem Unternehmen als Dienstleistungs-Paket rund um das Kernprodukt präzise entwickeln und umsetzen. Mit der Design Thinking, Methoden- und Toolbox können Forschungs- und Entwicklungs-Abteilungen leichter Startpunkte finden, um sich dann in kleinen Schritten lernend zum Ziel zu bewegen. Auf dem Weg werden dann mit der gleichen flexiblen Herangehensweise die Prozesse und Strukturen entwickelt, die für die Implementierung in das unternehmerische System notwendig sind. Was diese positive Dynamik noch fördert, ist der nächste Punkt:
2. Die “Innovator-Genetik”, die im Herzen von Forschungs- und Entwicklungs-Abteilungen liegt
F&E-Zentren haben eine "natürliche Innovations-DNA", die mit Design Thinking genutzt, gestärkt und skaliert wird. Prototypen konstruieren und testen, um mit hoher Geschwindigkeit zu lernen sowie das Iterieren als kontinuierliche Optimierungsstrategie stecken im Herzen eines jeden Forschers und Erfinders. Diese zentralen F&E-Prinzipien können durch die einfach anzuwendenden Methoden, die das Design Thinking bietet, konkret und effizient umgesetzt werden.
Aus Experimenten zu lernen ist die erfolgreichste Strategie zur Entwicklung von Innovation in einem komplexen Kontext mit hoher Unsicherheitsdynamik. Der Design-Thinking-Prozess mit seinem integrierten Iterationsmechanismus, unterstützt das strukturierte Lernen aus Experimenten nicht nur, er fordert es gleichsam ein. Sich in kleinen, präzise geplanten Schritten nach vorne bewegen, (Teil-) Zwischenergebnisse als schnelle, grobe Prototypen greifbar zu machen, aus Nutzertests lernen und die Erkenntnisse in Echtzeit in den Innovationsprozess integrieren – diese Strategie der kleinen Schritte hilft, Lösungen in unbekannten Gebieten zu finden. Darüber hinaus helfen Design-Thinking-Kreativitätsmethoden wie "in Analogien denken", " auf den Ideen anderer aufbauen" oder "Bodystorming" dabei, die Innovationsfähigkeit von Experten freizusetzen, die normalerweise nicht im Kreativprozess eingebunden sind. Vertriebsmitarbeiter, Marketing-Assistenten und der Kunde selbst werden so zu Feedbackgebern und Mitgestaltern.
3. Der Erfolg von nutzer-zentrierter Innovation
Nutzer-zentrierte Innovation startet bei den Bedürfnissen und dem Mehrwert, der für den Menschen geschaffen wird. Der Innovator bewegt sich dann Schritt für Schritt entlang der gesamten Produkt- oder Service-Erfahrung entlang, um alle möglichen Innovationspotentiale zu erschließen. Dies stellt aus Sicht der Design Thinking Praktiker den stärksten Gegensatz zu den Standard-F&E-Prozessen dar. Besonders in Marktkategorien mit hohen Zwängen und Regulierungen, wie z.B. im Lebensmittel- und Gesundheitsbereich, liegt der Startpunkt für Innovationsentwicklung üblicherweise innerhalb dieser Regulierungen. Design Thinking ignoriert diese Einschränkungen nicht (es gibt sogar spezifische Tools, die Einschränkungen als Inspiration für Ideen nutzen), beginnt aber zunächst mit dem Suchfeld der Möglichkeiten und Chancen, das sich durch die Bedürfnisse der Anwender ergibt. Wenn man zuerst die Möglichkeits-Felder zu erforscht und dann später die Konzepte durch die Filter der Machbarkeit und Wirtschafltichkeit leitet, erhöht sich beides: den Grad der Innovation und die Anzahl der Lösungen die später am Markt funktionieren –
Einfach deshalb, weil sie einem echten menschlichen Bedürfnis entsprungen sind und nicht produziert wurden “weil wir dazu in der Lage sind”.
Menschliche Zentriertheit - das am meisten unterschätzte Prinzip der Innovation.
Menschliche Zentriertheit in der Entwicklung von Innovationen ist nicht nur die Inspirationsquelle für große Markterfolge wie die “Adventure Series” von GE Healthcare (ein Kernspinntomograf, der Ressourcen spart, weil die Untersuchung fast ohne Patientensedierung auskommt) oder MY MUESLI (ein modulares Konzept für Frühstücks-Cerealien).
Die Konzentration auf den Wert für den Nutzer stärkt auch deswegen die Innovationskraft in multidisziplinären Teams, weil sie eine verbindliche Referenz und eine gemeinsamme sinnhafte Orientierung für Entscheidungen bietet: Es sind nicht die verschiedenen Experten, die um die jeweils beste Idee konkurrieren. Das Team integriert sein Wissen und seine Intelligenz, um einen Mehrwert für den Menschen zu schaffen, der verschiedene Nutzenaspekte der Produkterfahrung ausschöpft.
Strategisches Design Thinking bietet das Mindset und die Werkzeuge, die die Arbeitsteilung von Experten in echtes “Team-Unternehmertum” zu verwandeln.
So kann zum Beispiel eine neue Krebstherapie als als vollständiges Konzept entwickelt werden, das nicht nur das medizinische Produkt, sondern auch die entsprechenden Dienstleistungen für die zahlreichen Akteure (wie den Patienten, die Ärzte, die Angehörigen, die Krankenkassen) im komplexen Gesundheitssystem umfasst.
Die Perspektive: Der Nutzwert für den Menschen als Sinn-stiftender Kern des Tuns sorgt in der Forschungs- und Entwicklungsarbeit dafür, dass das gesamte Innovationspotenzial einer Organisation in eine Sinn-stiftende Richtung geht und dadurch auch ökonomische Synergieeffekte entstehen können.
Aus der wirtschaftlichen Perspektive kann Strategisches Design Thinking dazu beitragen, die Kluft zu überbrücken, mit der viele Unternehmen heute konfrontiert werden: die fehlende Beziehung zwischen dem übergreifendem Sinn und Zweck des Unternehmens – der Unternehmens-Mission – und dem täglichen Engagement ihrer Innovatoren im F&E-Labor und in ihren Transformationsprozessen. So kann der “gesunde Menschenverstand” aller Mitarbeiter einer Organisation für eine menschlich orientierte Wertschöpfung genutzt werden.
Dieser Artikel stützt sich in hohem Maße auf die Erfahrungen von Alumni des Exzellenzzentrums für berufliche Entwicklung am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam / Deutschland.
HASSO-PLATTNER-INSTITUT
Am Hasso-Plattner-Institut lehren, praktizieren und erforschen Experten und Wissenschaftler Design Thinking als Methode, Mindset und Strategie für Innovation und Transformation. Das Hasso Plattner Design Thinking Research Program ist ein gemeinsames Forschungsprogramm mit der Hasso Plattner School of Design Thinking an der Stanford University in Kalifornien.
In unseren jährlichen Alumni-Konferenzen bieten wir eine Plattform für den Austausch von Erfolgen, Hürden und Misserfolgen bei der Transformation von Organisationskulturen mit Design Thinking. Damit trägt das HPI zu einer wachsenden Innovatoren-Gemeinschaft bei, in der das Lernen voneinander der Hauptantrieb für Exzellenz ist.
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